War mein Beruf auch mein Berufswunsch?
(Senioren berichten dazu am 25.4.2017 in der Museums – Scheune/Jänickendorf)
Der größte Teil der anwesenden Senioren (-innen), haben hier in Jänickendorf in der Landwirtschaft gearbeitet. Einige in den einstigen LPG-en (Landwirtschaftliche Produktions -Genossenschaften) als Viehpfleger im Rinder- oder Schweinestall, andere wiederum im Feldbau. Eigentlich war den meisten unter ihnen dieser Weg „vorbestimmt“. Wurden diese Jahrgänge (1928 – 1942) doch fast alle in einem bäuerlichen Hof hinein geboren. Da war es ganz selbstverständlich, dass auch mit geholfen wird diesen zu erhalten oder weiter zu führen. Der Krieg ließ den damals Jugendlichen oftmals auch gar keine andere Wahl als auf dem elterlichen Hof zu bleiben, denn viele Väter und Brüder kamen aus diesem nicht zurück oder befanden sich noch Jahre nach Kriegsende in Gefangenschaft. Die Felder mussten aber bestellt und abgeerntet, das Vieh versorgt werden. Zur Zeit der Gründung der LPGen waren dann fast alle schon aus dem „Lehrlingsalter“ heraus und hatten bis dahin meist nur das ländliche Arbeitsleben kennen gelernt.
Ingelore N. wollte eigentlich gern Schneiderin werden. Aber als für sie die Lehrzeit gekommen war, wurde mit dem Aufruf „Frauen auf die Technik“ für diese Berufe geworben und so beherrschte sie als junge Frau nach ihrer Ausbildung die großen landwirtschaftlichen Maschinen. Ich habe sie stets bewundert, wenn sie ganz allein mit einem der riesigen Traktoren oder Mähdrescher durch Jänickendorf fuhr. Spaß hat ihr dieser Beruf dann auch bereitet und bewundert wurde sie beim Umgang mit diesen „Kolossen“ bestimmt auch von ihren männlichen Kollegen
Renate K. sollte eigentlich nach dem Willen ihres Lehrers Hans Hahn die ABF (Arbeiter- und Bauern – Fakultät) besuchen, um sich dort auf ein Studium vorzubereiten. Aber dafür hatte ihr Vater so gar kein Verständnis. Gleich am ersten Tag nach ihrem Schulabschluss hieß es für sie: Arbeitssachen und Stiefel an und los aufs Feld und in den Stall. Ob das in ihrem Sinne war, danach wurde gar nicht erst gefragt – das war damals eben selbstverständlich und erging nicht nur ihr so. Auch Renate hat ihr Leben lang in der Landwirtschaft gearbeitet – zu Zeiten der LPG auf dem Gebiet der Feldwirtschaft. Wenn das oftmals auch keine leichte Arbeit war bei Wind und Wetter, Hitze und Kälte im Freien oder in den großen unbeheizten Sortierhallen zu arbeiten, blieben ihr doch viele gute Erinnerungen an ihr Berufsleben im Gedächtnis.
Rosi K. ist in ein großes Gut hinein geboren. Schon allein 1000 ha Wald waren hier zu bewirtschaften. Da wurde gar nicht in Frage gestellt, ob eines der Kinder einen anderen Berufswunsch hat, als einen der mit der Landwirtschaft in Verbindung steht. So auch Rosi. Nach Gründung der LPG verschlug es sie nach Jänickendorf. Hier erlernte sie dann den Beruf einer Buchhalterin. Die Funktion übte sie später in der LPG Tierproduktion vorbildlich und mit Freude bis zum Renteneintritt aus.
Für Manfred B. stellte sich eigentlich nie die Frage, ob er in der Landwirtschaft tätig sein möchte. Auch er wurde auf einem Bauernhof geboren. Da der Vater nach Kriegsende in Gefangenschaft geriet und dort infolge eines Arbeitsunfalls zu Tode kam, musste Manfred schon als Kind Arbeiten erledigen, die eigentlich einem Erwachsenen zustanden. So sah es seine Mutter auch als notwendig an, ihn nach Abschluss der 7. Klasse aus der Schule zu nehmen. Manfred hatte den Ehrgeiz, das mütterliche Unternehmen erfolgreich zu führen und qualifizierte sich von 1954 bis 1969 im Abend-, später im Fernstudium vom Facharbeiter, über Feldbaumeister, staatlich geprüften Landwirt bis hin zum Abschluss Diplomlandwirt an der Humboldt – Universität in Berlin weiter. Auch noch während seiner beruflichen Tätigkeit legte er 1972 in Bernburg die Prüfung zum „Fachingenieur für Betriebswirtschaft in der Landwirtschaft“ ab. Insgeheim hatte er eigentlich den Wunsch Tierarzt zu werden. Doch durch die leitenden Funktionen in der LPG bis hin zum Vorsitzenden der LPG Tierproduktion wurde seine Tätigkeit in eine andere Richtung gelenkt, die ihn voll ausgefüllt hat und mit seinem eigentlichen Berufswunsch in enger Verbindung stand.
Ich selbst habe meine Kindheit und Berufsausbildung in der Großstadt (Leipzig) erlebt. Da gab es keine solchen Traditionen. Mein Berufswunsch war der einer Stewardess. Ich war sprachbegabt, in der Schule hatte ich gute Leistungen. Also durfte dem nichts im Wege stehen. Doch mein damaliger Klassenlehrer riet mir von einer Bewerbung ab, denn für diese Ausbildung waren die Plätze mehr als begrenzt, gab es doch in Ostdeutschland Ende der 1950er Jahre nur eine Fluggesellschaft die INTERFLUG, und dazu auch nur ganz begrenzte Flugangebote. Es war sicher nicht falsch, dass bei den Ausbildungsangeboten berücksichtigt wurde, ob später auch die Chance bestand, auf diesem Gebiet einen Arbeitsplatz zu bekommen. Mein Lehrer riet mir Lehrerin zu werden und nahm ganz einfach meine Bewerbung dafür selbst in die Hände. Ich selbst hätte mir das nie zugetraut, da ich eine sehr ruhige und zurückhaltende Schülerin war. Meine Mutti, die 6 Kinder allein groß ziehen musste und wie viele Mütter auf das Lehrlingsgeld nach Schulabschluss angewiesen war, stimmte einem Studium dennoch zu, da ich ein Stipendium in Höhe von 100 Mark bekam während das Lehrlingsgeld nur 80 Mark betrug. Zudem konnte ich während der Semesterferien weiterhin wie auch während meiner Schulferien, arbeiten gehen und noch etwas Geld hinzu verdienen. Dadurch habe ich Einblick in zahlreiche Berufe bekommen und stellte letztendlich fest, dass mir der Einsatz als Betreuerin in einem Kinderferienlager am meisten zusagte und was vor allem wichtig war, ich mit den Kindern sehr gut klar kam. Damit waren meine Zweifel ob der Berufswahl beseitigt. Ich war meinem Lehrer für seine Hilfe ewig dankbar und mit ihm auch bis zu seinem Tode freundschaftlich verbunden.
Werner Z. musste ebenfalls schon als Kind auf dem Kartoffel- und Rübenacker arbeiten, da auch sein Vater aus dem Krieg nicht zurück kehrte. Sein Berufsweg führte ihn aber später über die Betriebsakademie/Potsdam in den Straßen- und Wohnungsbau.
Aber es gab auch andere Berufe außer die in der Landwirtschaft, die innerhalb der Familie von einer Generation zur anderen weiter geführt wurden wie zum Beispiel bei Gitti H. (Margita Land). Ihr Vater, Erich Land, führte eine kleine Landwirtschaft, die aber als Ernährungsgrundlage für eine Familie nicht reichte. Deshalb arbeitete Erich Land nebenbei auch noch auf dem Holzplatz. 1941 übernahm er die Poststelle von Max Zimmermann hier in Jänickendorf als kleinen Nebenerwerb. Als er im Alter von erst 45 Jahren 1943 verstarb, führten bis 1948 seine Frau Minna und dann auch die Kinder Gerhard und Margita die Poststelle im elterlichen Haus weiter. Nach der Hochzeit ihres Bruders und damit dessen Wegzug nach Blönsdorf blieb Margita im Elternhaus wohnen und es bot sich für sie ganz einfach an durch Schulungen und Weiterbildung auf diesem Gebiet die Poststelle zu übernehmen. Diese Aufgabe erfüllte sie auch nach ihrer Hochzeit im Jahre 1955 weiter bis zur Auflösung der Jänickendorfer Zweigstelle im Jahre 1990.
Elvira J. Bei Elvira verhinderte die Zugehörigkeit zu einer Baptistengemeinde, deren Grundeinstellung eine uneingeschränkte Glaubensfreiheit vertritt, den Besuch der erweiterten Oberschule. Ohne Abiturabschluss einen Studienplatz zu bekommen, war in den 1960er Jahren kaum möglich. Deshalb war Elvira gezwungen eine am Wohnort mögliche Ausbildung zu suchen und so begann sie eine Lehre im Luckenwalder Betrieb VEB „Volltuch“, in dem Stoffe verschiedenster Art hergestellt wurden. Sie gab aber ihren eigentlichen Berufswunsch auf technischem Gebiet organisatorisch tätig zu sein nie auf. Über verschiedene Berufswege in mehreren Betrieben wie dem Automobilwerk Ludwigsfelde, VEB Holzspulen in Luckenwalde von der Arbeit als Sekretärin über Industriekauffrau bis hin zum Studium mit Abschluss „Ingenieurökonom“ erreichte sie ihren eigentlichen Berufswunsch dennoch – wenn auch über viele Umwege, aber mit großer Zielstrebigkeit und Ausdauer.
Für Ingrid N. hieß es nach Beendigung der Schulzeit recht schnell Geld zu verdienen, da auch ihr Vater im Krieg geblieben ist und die Mutter alleinstehend war. Wie in vielen Familien in diesen Jahren war auch ihre Mutter auf die finanzielle Unterstützung der heranwachsenden Tochter angewiesen. Aber Ingrid hatte Glück. Sie erlernte den Beruf einer Verkäuferin, weshalb sie während ihrer Lehrzeit in Luckenwalde in einem Internat leben musste. Diese Zeit hat sie in guter Erinnerung behalten und bezeichnet sie heute noch als eine sehr schöne Erfahrung.
Roswitha H. Wunsch war es einmal im Bäckerhandwerk zu arbeiten – besonders als Konditorin. Doch es lief in eine ganz andere Richtung: Roswitha besuchte die Berufsschule für Landwirtschaft und bekam als Lehrling eine Stelle bei der BHG (Bäuerliche Handels Genossenschaft) in Jänickendorf mit Ausbildungsziel Handelskauffrau. Mit Zahlen umzugehen war nie ihr Wunsch gewesen. Das hatte sicher auch der damalige Leiter der BHG Herr Schulze bemerkt, denn bei ihrem Ausbildungsbeginn sagte er zu ihr: “ Wenn du mit der Lehre fertig bist, sehen wir ob du Bleistift oder Schippe in die Hand bekommst!“ Fazit: Roswitha hat 25 Jahre lang bei der BHG einen Bleistift in der Hand gehabt. Aber Spaß hat ihr dieser Beruf nicht so richtig bereitet.
Renate L. wollte gern Schneiderin werden, weshalb ihr Onkel für sie in Potsdam auch eine entsprechende Lehrstelle besorgt hatte. Ihr Vater war aber dagegen. „Das Kind solle zu Hause bleiben“ war seine feste Meinung, von der er auch nicht abwich. Da sie den Besuch der Oberschule in Luckenwalde wegen langer Erkrankung abbrechen musste, begann sie eine Lehre in der Luckenwalder Molkerei als Einzelhandelskauffrau. Von dort wurde sie später in die LPG Tierproduktion nach Jänickendorf delegiert, wo sie bis zu ihrem Renteneintritt im Büro tätig war.
Wilma K. Um recht schnell Geld zu verdienen ging Wilma als Haushaltshilfe zu einem Luckenwalder Fleischer. Das war eine „gute“ Stelle, denn hier konnte sie sich nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren endlich mal so richtig an Wurst und Fleisch satt essen. 2 1/2 Jahre war sie hier „Mädchen für alles“. Nach dem dreijährigen Besuch einer Berufsschule in Luckenwalde ging sie für 3 Jahre als Hilfskraft nach Schönefeld zu Reni Schulze (geb. Arndt aus Jänickendorf). Dort waren ihre Aufgaben vielseitig: sie kümmerte sich um die Betreuung der heranwachsenden Kinder, musste aber auch beim Melken der Kühe sowie weiteren landwirtschaftlichen Arbeiten helfen. Später absolvierte sie eine Fortbildung als Erzieherin und arbeitete als Krippenerzieherin in Schönefeld.
Friedchen K. half bis zu ihrer Hochzeit mit Bernhard K. auf dem elterlichen Bauernhof mit. B. hatte ein Fuhrunternehmen und transportierte in erster Linie mit seinem Pferdegespann Holz. So kam es, dass auch Elfriede mit auf dem Holzplatz tätig war. Sie half zum Beispiel beim Reisig laden. Dafür eignete sie sich besonders gut, da ihr das wegen ihrer körperlichen Größe und Kraft nicht sehr schwer fiel.
Helga W. Vater war der Meinung, die Tochter solle in der Schule lernen und danach erst einmal das damals übliche Pflichtjahr bei Bauer Wernitz in Jänickendorf machen. Nach Absolvierung dieses Pflichtjahres hatte sie einen Termin zu einem Vorstellungsgespräch beim Autohaus Lachmann in Luckenwalde, wo sie eine Tätigkeit im Büro annehmen wollte. Doch genau an diesem Morgen erhielt der Vater die Einberufung von der Organisation „Tott“. Dies verpflichtete Männer zum Aufbau der Front für die Kriegsführung. Also musste Helga zu Hause bleiben, um ihre Mutter bei der Erledigung der landwirtschaftlichen Arbeiten zu unterstützen. Als der Vater 1957 starb, war Familie W. eine der ersten, die 1958 der LPG beitrat, was für die beiden Frauen eine große Erleichterung in ihrem täglichen Arbeitsleben bedeutete. Helga bildete sich innerhalb der Genossenschaft weiter zur Besamungstechnikerin und Milchprüferin. Gern hätte sie auch einen großen Traktor vom Typ ZT gefahren, aber das wollte der damalige Chef nicht. Warum? Er hatte Bedenken, dass er damit eine Arbeitskraft für den Stall verlor, die damals auch dringend benötigt wurden. Und so hat Helga bis zu ihrem Rentenalter vielseitige Arbeiten in der LPG ausgeführt, auch wenn es einst nicht ihr Berufswunsch gewesen ist.
Die Notwendigkeit bzw. Tradition, dass die Nachkommen einer bäuerlichen Familie unbedingt auch in der Landwirtschaft tätig sein müssen ist mit Gründung der LPGen hinfällig geworden. Nun konnten auch diese Kinder einen Beruf erlernen, der weitgehend ihren Vorstellungen entsprach, wenn es auch bei einigen zu Einwänden aus politischen Gründen kam. Hilfreich bei der Berufsorientierung war für sie der „Polytechnische Unterricht“, der im Lehrplan der 9. Und 10. Klassen in der DDR verankert war. Hier lernten die Schüler verschiedene Berufszweige der Industrie und Landwirtschaft in der Praxis kennen und konnten dadurch herausfinden, wofür sie besonderes Interesse hatten. Mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft in Ostdeutschland nach der Wende 1989 stellte sich erneut die Frage nach der Verwirklichung des Berufswunsches. Zahlreiche Arbeitsplätze fielen weg, Lehrstellen waren kaum zu bekommen. Das bedeutete oftmals auch für diese Generation, dass der Berufswunsch eine Illusion bleiben musste und die jungen Leute dankbar waren, wenn sie überhaupt eine Lehrstelle oder einen Studienplatz erhielten. In Westdeutschland wurde durch Weiterführung der Privatwirtschaften die Tradition, dass eines der Kinder die Bauernwirtschaft weiterführt beibehalten. Auch hier bei uns lebt diese Tradition durch die Wiedereinrichter bzw. Privatisierung der Wirtschaft wieder auf – und das nicht nur in der Landwirtschaft. In manchen Familien kommt es zu Problemen, wenn die Kinder die Bauernwirtschaft oder die Firma der Eltern nicht übernehmen möchten. Die Inhaber von Kleinbetrieben müssen über einen 8- Stundentag hinaus arbeiten, wenn sie ihre Firma erhalten wollen. Das eigentliche Familienleben wird zwangsweise vernachlässigt. Dieses Leben sehen deren Söhne und Töchter oftmals als nicht erstrebenswert an. Durch Spezialisierung gibt es verschiedene Handwerke nicht mehr allerorts. Das heißt, der Heimatort, die vertraute Umgebung, Familie und Freunde müssen für die Zeit der Ausbildung und meist darüber hinaus verlassen werden. Somit steht vor vielen jungen Menschen beim Einstieg ins Berufsleben auch heute wieder die Frage: “Ist mein Beruf auch mein Berufswunsch?“
G.Bölke
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