Feierabend auf dem Bauernhof - nach getaner Arbeit
(Senioren der Jahrgänge 1928 bis 1942 berichten im November 2016)
Feierabend kannten die Bauern von Frühjahr bis Herbst kaum. Es lag so viel Arbeit auf den Feldern und auf dem Hof an, dass ein 12 – Stundentag oft überschritten wurde und Bauer wie auch Bäuerin abends todmüde ins Bett „fielen“. Besonders umfangreich war die Arbeit aber während der Erntezeit – also Mai bis September. Es begann mit der ersten Heuernte.
Daran schloss sich das Einbringen des Getreides an. Danach musste eine zweite Heuernte - das Grummet - bewältigt werden sowie das Einbringen der Hackfrüchte.
Oft wurde noch im Dunkeln auf dem Feld gearbeitet, denn bei der Ernte musste günstiges Wetter ausgenutzt werden. Es war keine Seltenheit, dass sich die Bauern an solchen Tagen untereinander halfen. Kam dann endlich die Zeit, in der die meisten Arbeiten auf dem Feld abgeschlossen waren, konnte die Familie endlich die vorm Haus stehende Bank nutzen, um sich von der schweren Tagesarbeit auszuruhen und mit dem Nachbar ein Schwätzchen zu machen. Im Gespräch waren Neuigkeiten das Dorf und dessen Einwohner betreffend, aber auch fachliche Themen zu Ernteergebnissen, Missernten u.a. Oft besprach man noch anstehende Arbeiten und stimmte sich zur gegenseitigen Hilfe ab.
Erst während der Wintermonate gab es eigentlich einen richtigen Feierabend. Jetzt trafen sich die Frauen in der „Spinte“ – das heißt, man kam in einem der Höfe am Abend zusammen, verarbeitet hier bei Unterhaltung die geschorene Schafwolle am Spinnrad und beim Stricken warmer Socken. Meist gingen auch die Hausherren mit zur „Spinte“, um mit den anderen Bauern Skat zu spielen oder sich einfach nur zu unterhalten. Oft geschah das bei Kerzenschein oder unter dem Licht einer Karbidlampe. Neben dem Verarbeiten der geschorenen Schafwolle wurden an den Winterabenden nun auch die „weißen“ Bohnen ausgebuhlt sowie die getrockneten Federn der geschlachteten Gänse „gerissen“ , um damit wärmende Federbetten für den Winter zu haben. Aber nun war auch Zeit zum Flicken von Säcken und Arbeitssachen sowie für andere Handarbeiten. Franz Nitsche, Ewald Köppe und Weist beschäftigten dich in der kalten Jahreszeit vor allem mit dem Flechten von Kiepen, die vor allem bei Arbeiten auf dem Feld benötigt wurden. Die Männer nutzen die langen Winterabende zum Reparieren der Pferdegeschirre, Zugblätter, Leinen und Halfter, denn zum nächsten Frühjahr musste alles wieder einsatzbereit sein. Neuanschaffungen kosteten Geld, was oft knapp war. Es war damals auch nicht üblich so schnell wie heute Dinge zu entsorgen und durch Neues zu ersetzen.
In manchen Familien nahm man sich nun auch mehr Zeit für den Nachwuchs. Es gab zwar noch keine Computerspiele, aber solche „alten“ Spiele wie „Mensch ärgere dich nicht“, „Schwarzer Peter“ oder “Quartett“ bereiteten der ganzen Familie Spaß und ließ für kurze Zeit die Alltagssorgen vergessen. Gern lauschten die Kinder auch den Geschichten, die von Oma oder Opa erzählt wurden. Aber spätestens nach dem gemeinsamen Abendbrot mussten sie zu Bett gehen. Die älteren Kinder nutzten hier in Jänickendorf zweimal in der Woche am Abend die Möglichkeit am Geräteturnen teilzunehmen. Das fand im Saal der Gaststätte „Zur Eisenbahn“ statt. Es gab Jungen – und Mädchenriegen. Die Übungsleiter waren in erster Linie die Brüder Franz und Richard Nitsche und Ilse Müller. Sie zeigten den Kindern und Jugendlichen Turnübungen an den verschiedenen Geräten wie: Barren, Ringe, Pferd und Schwebebalken. Silvester fand jedes Jahr „Schauturnen“ statt. Da konnten die Turner ihren Eltern und Gästen zeigen, was sie das Jahr über durch fleißiges Trainieren an den einzelnen Geräten gelernt haben.
Verschiedene Bauern, deren Gehöfte im April 1945 völlig oder teilweise zerstört worden waren, mussten häufig auch die Abende nutzen, um Haus und Stallgebäude wieder aufzubauen. Paul Lehmann hat zum Beispiel dafür selbst Mauersteine angefertigt.
Nach Kriegsende startete die Aktion „Kino aufs Land“. Das war für viele Jänickendorfer ein ganz besonderes Ereignis. Die Filmvorführungen fanden in der Gaststätte bei Rasacks statt. Am Nachmittag für Kinder und abends für Erwachsene. Da einige Kinder aus finanzieller Not Schwierigkeiten hatten eine Eintrittskarte zu erwerben, tricksten sie so manches Mal die Kartenverkäufer aus, indem sie eine Eintrittskarte halbierten und sie, den Abriss geschickt mit der Hand verdeckend, zum Abreißen reichten.
Die abendlichen Filmvorstellungen wie zum Beispiel der Film „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ brachten die Menschen einmal auf ganz andere Gedanken und zeigten ihnen wie schön das Leben doch sein kann – wenn der Inhalt oftmals auch nicht der Realität entsprach. Aber man wurde für kurze Zeit in eine sorgenfreie Welt versetzt. Als in den 1960er Jahren die ersten Fernseher durch Jänickendorfer erworben wurden, war auch das eine willkommene Abwechslung sich am Abend zu treffen. Hier in Jänickendorf waren es der Schmied Karel Domerhagk und der KFZ – Meister Walter Pflanze, die sich finanziell solch ein Gerät leisten konnten. Dank ihres Entgegenkommens kamen aber mehr Jänickendorfer in den Genuss aktuelle Nachrichten aus aller Welt, Sportereignisse und Spielfilme auf diese Weise zu erleben. Walter Pflanze stellte vor den damals noch sehr kleinen Bildschirm eine Glaslinse mit Wasser, um das Bild für seine „Fernsehgemeinde“ gut sichtbar zu machen. Das Beisammensein bei der Arbeit und vor allem an den Winterabenden, Sonn- und Feiertagen schmiedete die Dorfgemeinschaft zusammen. Fast jeder nahm Anteil am Schicksal sowie den Sorgen und Freuden der anderen. Alle kannten sich. Jeder, ob Jung oder Alt, grüßte den anderen bei einer Begegnung auf der Dorfstraße.
Mit zunehmendem Fortschritt der Unterhaltungs- und Kommunikationstechnik und der damit verbundenen „Zahlbarkeit“ solcher Geräte wie Radio, Fernseher, Telefon bis hin zur Computertechnik verloren die gemeinsamen Gespräche immer mehr an Bedeutung. Mehr und mehr verschwanden in den 1980er Jahren die einst üblichen Sitzgelegenheiten vor jedem Gehöft und damit auch die abendlichen Gespräche miteinander. Inzwischen ist die alte Tradition des Grüßens in den meisten Dörfern fast verschwunden. Viele Dorfbewohner kennt man gar nicht mehr bzw. kann man ihre Gesichter nur noch nach deren Ähnlichkeit im Aussehen eines ihrer älteren Familienmitglieder zuordnen – eigentlich schade!
G.Bölke Jänickendorf/November 2016
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