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Arbeit auf dem Land

Federnreißen um 1900
Erlebnisbericht von Jänickendorfer Senioren am 18. Mai 2011

Die Gänse wurden oft zweimal in ihrem Dasein gerupft. Das erste Mal in lebendem Zustand. Dabei nahm man meist nur die Brustfedern - die Daunen. Die besten Federn lieferten die kleineren Gänse, sie hatten mehr Daunen. Das zweite Rupfen der Gans erfolgte nachdem sie geschlachtet war. Es gibt ein altes Sprichwort: "Wegen einer Feder muss ein Mädchen über sieben Zäune steigen".
Das soll ausdrücken, wie viel Mühe es kostet, Federn für ein großes Deckbett zu sammeln.
Geschlachtet wurden die Gänse meist im Dezember. Der Gänsebraten war der weihnachtliche Festbraten. Außerdem hatten die Tiere zu dieser Zeit wegen der kalten Witterung die meisten Flaumfedern angesetzt.
Zum Töten fasste der Bauer die Gans beim Schnabel, drückte diesen nach vorn, um die Federn für die Einstichstelle - eine sich am Kopf befindende Delle - zu entfernen. Dazu klemmte er den Gänsekörper zwischen seine Beine. Das Tier sollte sich nicht bewegen können. Dann wurde es mit einem scharfen, spitzen Messer abgestochen. Der Kopf wurde verbunden, um die Federn nicht mit Blut zu beschmutzen. Dadurch sollte verhindert werden, dass sich beim Lagern bis zum Federnreißen Motten oder Maden in die gesammelten Federn setzen. Nachdem der Körper richtig ausgeblutet war, wurde die Gans "gerupft", das heißt, die Federn mit der Hand ausgerissen. Rupfte sich die Gans nur schwer, so dass dabei die Haut einriss, was meist bei männlichen Tieren, den Erpeln zutraf, griff die Bäuerin zu einem Hilfsmittel: sie bügelte die Gans. Dazu legte man ein feuchtes Tuch auf den Gänseleib und bügelte mit einem heißen Bügeleisen darüber. Dabei war es aber nötig, dass die Federn erst getrocknet wurden, bevor sie zum Aufbewahren in gut verschlossenen Papiertüten auf den Boden kamen. Waren alle Federn entfernt, wurden die Stoppeln in mühsamer Arbeit mit der Hand ausgerupft. Nun musste die Gans noch gesengt werden. Dazu zündete man in einem Schälchen Spiritus an und hielt den Körper über die offene Flamme, um auch noch die letzten Stoppeln und die langen Einzelhaare wegzubrennen. Später, als die Haushalte mit Gasherden ausgestattet waren, war das Sengen nicht mehr so aufwendig und vor allem nicht so gefährlich. Denn böse Erfahrungen hatte Jänickendorf mit dem Sengen der Gänse schon einmal gemacht: So brach am 19. Juli 1779 in der Ernte bei dem Bauern Hönicke durch Unvorsichtigkeit bei dem Absengen einer gerupften Gans ein Feuer aus, wobei 20 Bauern, 6 Kossäten und 11 Büdner nebst Kirche ( die Glocken wurden eingebüßt), Pfarre und Schule abbrannten.

War die Gans gesengt, wurde diese gründlich gewaschen und aufgehängte. Durch das Aufhängen am Halse ließen sich später die Innereien besser ausnehmen. Von der ausgenommenen Gans wurden Leber und das aufgefangene Blut gebraten und zum Abendbrot auf einer Stulle oder als Beilage zu Kartoffeln gegessen.

Das eigentliche Federnreißen - auch Schleißen genannt - fand nach Fastnacht, also im Februar statt. Dadurch war genügend Gesprächsstoff für diesen langen Nachmittag bis in den Abend hinein vorhanden. Schon alleine wegen der neu zu hörenden Ereignisse und Begebenheiten aus der Umgebung gaben die Frauen gern ihre Zusage zur Teilnahme am Federnreißen. Man sagte:
Wenn gute Reden sie begleiten dann fließt die Arbeit munter fort.
Meist ging es gleich nach dem Mittagessen los. Zum Kaffee gab es frisch gebackenen Blechkuchen und natürlich auch Fastnachtspfannkuchen, gefüllt mit selbstgerührtem Pflaumenmus.
Frauen aus der Nachbarschaft und gute Bekannte wurden zum Helfen eingeladen. War bei denen dann Federnreißen angesagt, half man ihnen ebenso. Bekleidet waren sie mit Kopftüchern und Sachen, die keine Federn anziehen.
Die Bäuerin hatte die Papiertüten mit den Federn darin zuvor auf dem geheizten Ofen angewärmt, was das Reißen wesentlich erleichterte. Ein großer Tisch kam in die Küche. Die Frauen setzten sich ringsum und die Federn wurden darauf ausgeschüttet. Nun begannen sie die Feder zu reißen. Hastige Bewegungen oder gemeinsames Singen mussten vermieden werden, um ein Herumfliegen der Federn zu verhindern.
FedernreissenKleine Federn werden dabei von oben angerissen; bei größeren Federn wird der Kiel entfernt. Beim Reißen sortieren die Frauen die Federn auch gleichzeitig: mit den besseren Federn - den Daunen - stopft man die Federbetten, die anderen nimmt man zum Stopfen von Sofakissen. Meist wurde auch ein neues Inlett für die neuen Federn gekauft. Fehlte es aber an Geld oder hielt man das alte noch für gebrauchsfähig, rieb man dieses von der Innenseite einfach mit Wachs ein. Das verhinderte das Durchstechen der Federn durch den Stoff.
Manchmal passierte es, dass sich junge Burschen einen "Spaß" erlaubten, indem sie einen Vogel fingen und diesen in der Küche frei ließen. Das hatte natürlich zur Folge, dass die auf dem Tisch liegenden Federn wild umherflogen und die Frauen doppelte Arbeit hatten. Entsprechend haben sie auch auf die Jugendlichen geschimpft. Die Kinder riefen darauf: "Wenn die Bäuerin ruft ich soll weitergehen, bleibe ich erst recht lange stehen."
War man mit dem Federnreißen fertig, wurde noch gemeinsam gegessen. Es gab Kaffee und Kuchen, oft auch Kartoffelsalat und Bockwurst. Manch einer wird sich nun fragen, was die Männer während dieser Zeit gemacht haben? Entweder trafen sie sich im Gasthof zu einem gemeinsamen Bier oder sie saßen nicht weit weg von den Frauen und schnitzten aus den aufbewahrten Weihnachtsbaumspitzen Quirle für die Hausfrau. Aber in Jänickendorf war wohl Ersteres mehr der Fall.


Gisela Bölke

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